Es ist Freitagnachmittag. Ich bin von der Arbeitswoche wieder einmal voll gestresst. Da es am Montag weiter geht bin ich nicht nach Hause gefahren, sondern bleibe das Wochenende über im Hotel.
Ich will ausspannen. Einladungen für dieses Wochenende habe ich von der Firma bei der ich zurzeit arbeite genug. Aber in letzter Zeit merke ich immer öfter, dass ich eine Pause benötige. Deshalb ziehe ich mich auch an diesem Wochenende zurück. Ich dusche zunächst und lege mich anschließend auf das Bett.
Mein Blick schweift umher. Früher habe ich nie darauf geachtet, aber ich merke wie austauschbar alles ist. Die Hotelzimmer in denen ich mich in den letzten zehn Jahren aufgehalten habe sind alle ähnlich eingerichtet, mal moderner, mal mehr stilvoll, mal etwas antiquiert. Sie haben alle einen unterschiedlichen Geruch der trotzdem eine Gemeinsamkeit ausstrahlt. Lediglich die Technik hat sich verändert. WLAN, Internet, TV bietet heute jedes Hotel.
Was bleibt an so einem Wochenende ist die Einsamkeit. Bis vor kurzem hat mir das nichts ausgemacht, ja ich habe diese Einsamkeit sogar gesucht. Dabei ist mir aber völlig entgangen das ich mich von meinen privaten Kontakten und meinen Freunden immer mehr zurückgezogen habe.
Ich bin ledig und meine Bekanntschaften, die ich hatte, haben sich nach kurzer Zeit immer wieder zurückgezogen. Diese Beziehungen waren ehrlich gesagt für mich bis vor kurzem eine Art One-Night-Stand. Ab und zu mal eine escort Lady am Wochenende ins Hotel bestellt ist zwar ganz nett aber auf Dauer auch nicht optimal. Privat keine Verpflichtungen und keine Verantwortung eingehen, dafür sehr erfolgreich im Beruf sein das ist bisher mein Lebens Motto. In meinem Unterbewusstsein bin ich so verfahren und da hinein geraten, es war ja auch so schön einfach und bequem.
Das da noch eine andere Seite in mir schlummert, dessen war ich mir nicht bewusst oder wollte es nicht wahr haben. Ich bin wohl auch so ein Typ der sich gerne selbst belügt.
Ich bin auf dem Bett eingeschlummert und wache gegen 18.30 Uhr auf. Ich ziehe mir Freizeitklamotten an, nehme das Buch „Der Hobbit“ zur Hand und verlasse mein Hotelzimmer.
Das Hotel verfügt über eine kleine Bar mit 10 Tischen. Ich habe Glück. Die Bar ist leer und damit bin ich der einzige Gast. Ich setze mich an den Tisch in einer Ecke der nicht direkt einsehbar ist. So bleibe ich ungestört. Ich schlage das Buch auf und beginne zu lesen. Nach kurzer Zeit bin ich so in das Buch vertieft das ich glatt den Barkeeper übersehe, der zu mir gekommen ist. Ich bestelle mir ein frisch gezapftes Pils und einen Caesars Salat. Nach kurzer Zeit bringt mir der Barkeeper mein Essen und mein Pils. Ich unterbreche das lesen und genieße das Pils. Ich lehne mich zurück und schließe für einen Moment die Augen. Dabei atme ich tief ein und aus, genieße die Ruhe nach dieser hektischen Woche. Dann vertiefe ich mich wieder in das Buch.
Ich weiß nicht wie lange ich gelesen habe. Meinen Salat habe ich zwischen drin aufgegessen. Plötzlich tritt jemand zu mir an den Tisch. Ich schaue auf und sehe eine wunderschöne Frau. Heller Teint ein schmales Gesicht, rote leicht blond schimmernde Haare die kunstvoll zusammen gesteckt sind. Helle blaue Augen schauen mich an. Sie trägt ein dunkel grünes Kleid mit angesetzten Ärmeln. Ein dazu passender schwarz glänzender Gürtel ist um ihre Taille geschwungen.
Ich fühle mich überrumpelt, als sie mich ganz offen anspricht, „Darf ich mich zu Ihnen setzen? Hier ist sonst niemand und ein bisschen Gesellschaft heute Abend wäre mir angenehm.“
Bei mir fallen wieder die Relais im Gehirn in eine bestimmte Richtung, Schubkasten denken. Also wieder so eine escort Lady die sich anbietet, glaube ich zu wissen, und die man für verschiedene Dienste buchen kann. Auch davon habe ich in den ganzen Jahren in Hotels genug erlebt. Nicht falsch verstehen, die Dienste habe ich früher häufiger in Anspruch genommen. Aber meine „früher schwanzgesteuerte Zeit“ ist vorbei und darauf habe ich heute Abend keine Lust.
Meine Antwort fällt trotz dieses tollen Anblickes recht schroff und zu laut aus. „Ich lese hier ein Buch und sosehr ich die angenehme Seite einer Frau oder einer escort Lady wie sie wohl sind zu schätzen weiß, möchte ich mich weiter in meine Lektüre vertiefen. Also vielen Dank für das Angebot aber ich möchte lieber alleine bleiben.“
Ich sehe ihren überraschten Blick, denn mit so einer Antwort hatte sie nicht gerechnet. Sie schaut mich enttäuscht und verletzt an, holt noch einmal Luft und will wohl antworten, aber dann dreht sie sich um und geht zur Theke. Ich sehe ihr hinterher. Sie sieht umwerfend aus und ich bereue meine Antwort sofort. So eine Situation habe ich auch noch nicht erlebt. Mein Mundwerk war mal wieder zu schnell vorher sollte man den Kopf einschalten.
Sie wechselt ein paar kurze Worte mit dem Barkeeper, der sich wohl eine Bestellung notiert, und verlässt anschließend ohne sich umzublicken die Bar.
Ich will mich wieder in meine Lektüre vertiefen, kann mich aber aufgrund des gerade erlebten nicht mehr richtig konzentrieren. Ich bestelle mir noch ein Bier. Als der Barkeeper es mir bringt spricht er mich an, „Entschuldigung, aber ich habe vorhin mitbekommen wie sie unseren langjährigen Gast Frau Dr. Schmidt angesprochen haben. Das war sehr unhöflich. Es ist das erste Mal das sie überhaupt jemanden in unserem Hotel angesprochen hat. Sie ist keine escort Lady. Ich denke sie haben sie sehr beschämt und verletzt, deshalb würde ich ihnen raten das sie sich bei Ihr entschuldigen.“ Ich sehe ihm an das er es ernst meint und nicke nur mit dem Kopf sage aber nichts.
Nachdem ich das Bier ausgetrunken habe bringe ich das Buch auf das Zimmer und mache anschließend noch einen Spaziergang. Die Frau hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und je länger ich darüber nachdenke wird mir klar, dass ich eine gute Gelegenheit verpasst habe den Abend in angenehmer und geselliger Runde zu verbringen. Naja, shit happens.
Samstagmorgen_
Es ist kurz vor 9 Uhr. Ich gehe in den Frühstücksraum und mache mir am Frühstücksbuffet einen Teller zu recht. Gebratener Bacon mit Rührei, dazu Würstchen und eine Scheibe Graubrot. Als Beruhigung für das schlechte Gewissen zum Thema Kalorien, Brennwert oder was auch immer eine Alibi Tomate, ein paar Gurkenscheiben und etwas rote und gelbe Paprikastreifen.
Plötzlich habe ich ein merkwürdiges Gefühl im Rücken. Ich fühle dass mich jemand anschaut. Als ich mich zur Seite drehe sehe ich sie da sitzen. Unsere Blicke treffen sich und sie schaut kühl und distanziert zu mir. Ich bringe meinen Teller an einen freien Tisch und hole mir einen Kaffee und Orangensaft.
Ich bin jetzt 36 Jahre alt aber es fällt mir schwer sie anzusehen und anzusprechen. Trotzdem überwinde ich mich. Ich gehe zu ihrem Tisch und spreche sie direkt an.
„Guten Morgen, ich möchte mich für meine Aussage von gestern Abend und mein schlechtes Benehmen in aller Form entschuldigen. Mein Mund ist manchmal schneller als mein Verstand und ich wollte sie auf gar keinen Fall beleidigen. Ich hoffe sie können mir verzeihen.“
Sie hält erst verblüfft inne dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Guten Morgen, Entschuldigung ist angenommen. Setzen sie sich doch bitte zu mir“, fordert sie mich auf. Ich schlucke, damit habe ich nicht gerechnet. Ich nicke nur und hole meinen Teller und die Getränke und setze mich ihr gegenüber. Sie schaut mich prüfend an und ihre Augen fangen an zu strahlen wie gestern Abend.
„Was bist du doch für ein Idiot“, murmle ich zu mir selber. „Was haben sie gesagt?“ fragt sie und schaut mich dabei skeptisch an. Dabei zieht sie leicht eine Augenbraue nach oben. Ihr Misstrauen ist sofort wieder geweckt und ich kann es ihr nicht verübeln.
„Nein, nein“, antworte ich und versuche zu lächeln,“ ich hab mich über mich selbst geärgert, das ich eine so nette und schöne Frau wie sie gestern Abend so düpiert habe“. Sie sieht mich lange und prüfend an. Ich könnte mich dabei in ihren Augen verlieren und merke wie mein Herzschlag zunimmt.
Dann lächelt sie mich wieder an und ob ich es will oder nicht ich fühle mich wie ein Pennäler der zum ersten Mal verliebt ist. Ich fasse es nicht. Bei dieser unbekannten Frau brechen bei mir im innersten alle Dämme obwohl wir uns bisher gar nicht kennen. Ich fühle mich von ihr vereinnahmt, ein Gefühl das ich ebenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht kannte. Bei meinen Bekanntschaften in der Vergangenheit hatte ich bisher alles unter Kontrolle. Heute gelingt mir dies nicht. Ich bin verwirrt und meine Gedanken fahren Achterbahn. Was ist bloß los mit mir?
„Guten Appetit“, wünscht sie mir und zwinkert mit zu. „Ebenfalls“, erwidere ich, habe aber dabei das Gefühl als ob mir jemand den Boden unter den Füssen wegzieht. Ist sie sich ihrer Wirkung auf mich eigentlich bewusst?
Wir essen beide schweigend, schauen uns aber immer wieder an und lächeln. Was für eine Frau die mich da in ihren Bann zieht. Als die Teller geleert sind lehnen wir uns beide in unseren Stühlen zurück. Und wieder macht sie den ersten Schritt. Sie hebt ein Glas mit Orangensaft hoch und prostet mir zu, „Ich heiße Veronika, Veronika Schmidt“, und ich erwidere: „Angenehm, Björn Förster“.
Da der Kaffee alle ist, stehen wir beide auf und gehen zu dem Kaffeeautomaten. Ich stehe hinter ihr und schließe für einen Moment die Augen. Sie hat nur ein wenig Parfum aufgelegt und riecht einfach wunderbar. Auch sie trägt Freizeitkleidung Hautenge Jeans, eine weiße luftige Bluse mit ¾ Arm und weiße Pomps. Ihr Haar hat sie wieder hoch gesteckt. Ich habe längst den Tunnelblick und nehme alles andere um uns herum gar nicht mehr wahr. Atemberaubend diese Frau und ich bin mir sicher sie ist sich dessen bewusst.
Wir sitzen wieder am Frühstückstisch, da spreche ich sie an „ Frau Dr. Schmi … äh Veronika, ich war gestern Abend zu sehr in mein Buch vertieft, als du mich angesprochen hast und dann kann es vorkommen das ich ziemlich … naja, grantig werde.
Jedenfalls habe ich es direkt bereut als ich es ausgesprochen habe. Mein Mundwerk ist manchmal sehr schnell vorweg. Ist vielleicht eine Schwäche von mir. Als dann der Barkeeper noch zu mir kam und mich zurecht stutzte habe ich mich sehr geschämt. Ich musste ihm versprechen mich bei dir zu entschuldigen, aber das hätte ich auch ohne seine Aufforderung getan“. „ Machst du das immer so, Björn?“. „Das ist mir leider in der Vergangenheit immer wieder mal passiert, selbst meinen Freunden gegenüber. Wenn ich darüber nachdenke ist das wohl einer der Gründe warum sie sich mir gegenüber immer mehr zurückgezogen haben. Bis auf 3 Kumpel mit denen ich alle viertel Jahr Doppelkopf spiele habe ich eigentlich keine Freunde mehr“.
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