Das Tagebuch
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Das Tagebuch

Jetzt möchte ich auch mal eine Geschichte posten, genauer gesagt, ein Gedicht. Leider ist es geklaut, aber bei keinem geringeren als dem alten Geheimrat Goethe. Es heisst „Das Tagebuch“ und vielleicht findet es ja der eine oder andere amüsant, ich jedenfalls habe mich über die Grillen von Meister Iste sehr amüsiert.

Wir hören’s oft und glauben’s wohl am Ende: 
Das Menschenherz sei ewig unergründlich, 
Und wie man auch sich hin und wider wende, 
So sei der Christe wie der Heide sündlich. 
Das Beste bleibt, wir geben uns die Hände 
Und nehmen’s mit der Lehre nicht empfindlich; 
Denn zeigt sich auch ein Dämon, uns versuchend, 
So waltet was, gerettet ist die Tugend.

Von meiner Trauten lange Zeit entfernet, 
Wie’s öfter geht, nach irdischem Gewinne, 
Und was ich auch gewonnen und gelernet, 
So hatt‘ ich doch nur immer sie im Sinne; 
Und wie zur Nacht der Himmel erst sich sternet, 
Erinnrung uns umleuchtet ferner Minne: 
So ward im Federzug des Tags Ereignis 
Mit süßen Worten ihr ein freundlich Gleichnis.

Ich eilte nun zurück. Zerbrochen sollte 
Mein Wagen mich noch eine Nacht verspäten; 
Schon dacht‘ ich mich, wie ich zu Haus rollte, 
Allein da war Geduld und Werk vonnöten. 
Und wie ich auch mit Schmied und Wagner tollte, 
Sie hämmerten, verschmähten, viel zu reden. 
Ein jedes Handwerk hat nun seine Schnurren. 
Was blieb mir nun? Zu weilen und zu murren.

So stand ich nun. Der Stern des nächsten Sc***des 
Berief mich hin, die Wohnung schien erträglich. 
Ein Mädchen kam, des seltensten Gebildes, 
Das Licht erleuchtend. Mir ward gleich behäglich. 
Hausflur und Treppe sah ich als ein Mildes, 
Die Zimmerchen erfreuten mich unsäglich. 
Den sündigen Menschen, der im Freien schwebet – 
Die Schönheit spinnt, sie ist’s, die ihn umwebet.

Nun setzt‘ ich mich zu meiner Tasch‘ und Briefen 
Und meines Tagebuchs Genauigkeiten, 
Und wie sonst, wenn alle Menschen schliefen, 
Mir und der Trauten Freude zu bereiten; 
Doch weiß ich nicht, die Tintenworte liefen 
Nicht so wie sonst in alle Kleinigkeiten; 
Das Mädchen kam, des Abendessens Bürde 
Verteilte sie gewandt mit Gruß und Würde.

Sie geht und kommt; ich spreche, sie erwidert; 
Mit jedem Wort erscheint sie mir geschmückter. 
Und wie sie leicht mir nun das Huhn zergliedert, 
Bewegend Hand und Arm, geschickt, geschickter – 
Was auch das tolle Zeug in uns befiedert – 
Genug, ich bin verworrner, bin verrückter, 
Den Stuhl umwerfend, spring‘ ich auf und fasse 
Das schöne Kind; sie lispelt: „Lasse, lasse!

Die Muhme drunten lauscht, ein alter Drache, 
Sie zählt bedächtig des Geschäfts Minute; 
Sie denkt sich unten, was ich oben mache, 
Bei jedem Zögern schwenkt sie frisch die Rute, 
Doch schließe deine Türe nicht und wache, 
So kommt die Mitternacht uns wohl zugute.“ 
Rasch meinem Arm entwindet sie die Glieder 
Und eilet fort und kommt nur dienend wieder;

Doch blickend auch! So daß aus jedem Blicke 
Sich himmlisches Versprechen mir entfaltet. 
Den stillen Seufzer drängt sie nicht zurücke, 
Der ihren Busen herrlicher gestaltet. 
Ich sehe, daß am Ohr, um Hals und G’nicke 
Der flüchtigen Röte Liebesblüte waltet, 
Und da sie nichts zu leisten weiter findet, 
Geht sie und zögert, sieht sich um, verschwindet.

Der Mitternacht gehören Haus und Straßen, 
Mir ist ein weites Lager aufbereitet, 
Wovon den kleinsten Teil mir anzumaßen 
Die Liebe rät, die alles wohl bereitet; 
Ich zaudre noch, die Kerzen auszublasen, 
Nun hör‘ ich sie, wie leise sie auch gleitet, 
Mit gierigem Blick die Hochgestalt umschweif‘ ich, 
Sie senkt sich her, die Wohlgestalt ergreif‘ ich.

Sie macht sich los: „Vergönne, daß ich rede, 
Damit ich dir nicht völlig fremd gehöre. 
Der Schein ist wider mich; sonst war ich blöde, 
Stets gegen Männer setzt‘ ich mich zur Wehre. 
Mich nennt die Stadt, mich nennt die Gegend spröde; 
Nun aber weiß ich, wie das Herz sich kehre: 
Du bist mein Sieger, laß dich’s nicht verdrießen, 
Ich sah, ich liebte, schwur, dich zu genießen.

Du hast mich rein, und wenn ich’s besser wüßte, 
So gäb ich’s Dir; ich tue, was ich sage.“ 
So schließt sie mich an ihre süßen Brüste, 
Als ob ihr nur an meiner Brust behage. 
Und wie ich Mund und Aug‘ und Stirne küßte, 
So war ich doch in wunderbarer Lage: 
Denn der so hitzig sonst den Meister spielet, 
Weicht schülerhaft zurück und abgekühlet.

Ihr scheint ein süßes Wort, ein Kuß zu g’nügen, 
Als wär‘ es alles, was ihr Herz begehrte. 
Wie keusch sie mir, mit liebevollem Fügen, 
Des süßen Körpers Fülleform gewährte! 
Entzückt und früh in allen Zügen 
Und ruhig dann, als wenn sie nichts entbehrte. 
So ruht‘ ich auch, gefällig sie beschauend, 
Noch auf den Meister hoffend und vertrauend.

Doch als ich länger mein Geschick bedachte, 
Von tausend Flüchen mir die Seele kochte, 
Mich selbst verwünschend, grinsend mich belachte, 
Nichts besser ward, wie ich auch zaudern mochte, 
Da lag sie schlafend, schöner als sie wachte; 
Die Lichter dämmerten mit langem Dochte. 
Der Tagesarbeit, jugendlicher Mühe 
Gesellt sich gern der Schlaf und nie zu frühe.

So lag sie himmlisch an bequemer Stelle, 
Als wenn das Lager ihr allein gehörte, 
Und an die Wand gedrückt, gequetscht zur Hölle, 
Ohnmächtig jener, dem sie nichts verwehrte. 
Vom Schlangenbisse fällt zunächst der Quelle 
Ein Wandrer so, den schon der Durst verzehrte. 
Sie atmet lieblich holdem Traum entgegen; 
Er hält den Atem, sie nicht aufzuregen.

Gefaßt bei dem, was ihm noch nie begegnet, 
Spricht er zu sich: So mußt du doch erfahren, 
Warum der Bräutigam sich kreuzt und segnet, 
Vor Nestelknüpfen scheu sich zu bewahren. 
Weit lieber da, wo’s Hellebarden regnet, 
Als hier im Schimpf! So war es nicht vor Jahren, 
Als deine Herrin dir zum ersten Male 
Vors Auge trat im prachterhellten Saale.

Da quoll dein Herz, da quollen deine Sinnen, 
So daß der ganze Mensch entzückt sich regte. 
Zum raschen Tanze trugst du sie von hinnen, 
Die kaum der Arm und schon der Busen hegte, 
Als wolltest du dir selbst sie abgewinnen; 
Vervielfacht war, was sich für sie bewegte: 
Verstand und Witz und alle Lebensgeister 
Und rascher als die andern jener Meister.

So immerfort wuchs Neigung und Begierde, 
Brautleute wurden wir im frühen Jahre, 
Sie selbst des Maiens schönste Blum und Zierde; 
Wie wuchs die Kraft zur Lust im jungen Paare! 
Und als ich endlich sie zur Kirche führte, 
Gesteh‘ ich’s nur, vor Priester und Altare, 
Vor deinem Jammerkreuz, blutrünstiger Christe, 
Verzeih mir’s Gott, es regte sich der Iste.

Und ihr, der Brautnacht reiche Bettgehänge, 
Ihr Pfühle, die ihr euch so breit erstrecktet, 
Ihr Teppiche, die Lieb und Lustgedränge 
Mit euren seid’nen Fittichen bedecktet! 
Ihr Käfigvögel, deren Zwitschersänge 
Zu neuer Lust und nie zu früh uns wecktet! 
Ihr kanntet uns, von eurem Schutz umfriedet, 
Teilnehmend sie, mich immer unermüdet.

Und wie wir oft sodann im Raub genossen 
Nach Buhlenart des Ehstands heilge Rechte, 
Von reifer Saat umwogt, vom Rohr umschossen, 
An manchem Unort, wo ich’s mich erfrechte, 
Wir waren augenblicklich, unverdrossen 
Und wiederholt bedient vom braven Knechte! 
Verfluchter Knecht, wie unerwecklich liegst du! 
Und deinen Herrn ums schönste Glück betrügst du.

Doch Meister Iste hat nun seine Grillen 
Und läßt sich nicht befehlen noch erachten, 
Auf einmal ist er da, und ganz im stillen 
Erhebt er sich zu allen seinen Prachten; 
So steht es nun dem Wandrer ganz zu Willen, 
Nicht lechzend mehr am Quell zu übernachten. 
Er neigt sich hin, er will die Schläferin küssen, 
Allein er stockt, er fühlt sich weggerissen.

Wer hat zur Kraft ihn wieder aufgestählet, 
Als jenes Bild, das ihm auf ewig teuer, 
Mit dem er sich in Jugendlust vermählet? 
Dort leuchtet her ein frisch erquicklich Feuer, 
Und wie er erst in Ohnmacht sich gequälet, 
So wir nun hier dem Starken nicht geheuer; 
Er schaudert weg, vorsichtig, leise, leise 
Entzieht er sich dem holden Zauberkreise.

Sitzt, schreibt: „Ich nahte mich der heimischen Pforte, 
Entfernen wollten mich die letzten Stunden, 
Da hab‘ ich nun, am sonderbarsten Orte, 
Mein treues Herz aufs neue dir verbunden. 
Zum Schlusse findest du geheime Worte: 
DIE KRANKHEIT ERST BEWäHRET DEN GESUNDEN. 
Dies Büchlein soll dir manches Gute zeigen, 
Das Beste nur muß ich zuletzt verschweigen.“

Da kräht der Hahn. Das Mädchen schnell entwindet 
Der Decke sich und wirft sich rasch ins Mieder. 
Und da sie sich so seltsam wiederfindet, 
So stutzt sie, blickt und schlägt die Augen nieder; 
Und da sie ihm zum letztenmal verschwindet, 
Im Auge bleiben ihm die schönen Glieder. 
Das Posthorn tönt, er wirft sich in den Wagen 
Und läßt getrost sich zu der Liebsten tragen.

Und weil zuletzt bei jeder Dichtungsweise 
Moralien uns ernstlich fördern sollen, 
So will auch ich in so beliebtem Gleise 
Euch gern bekennen, was die Verse wollen: 
Wir stolpern wohl auf unsrer Lebensreise, 
Und doch vermögen in der Welt, der tollen, 
Zwei Hebel viel aufs irdische Getriebe: 
Sehr viel die Pflicht, unendlich mehr die Liebe!

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